Wednesday, July 13, 2016

Was alles hinter der Idee "Empowerment" steckt


von David J. Putnam


Der Begriff "Empowerment" (dt.: Ermächtigung) gilt seit der afroamerikanischen Befreiungsbewegung der 1960er Jahre zum allbeliebten Schlagwort schlechthin. In den 1980er Jahren wurde der neue anti-hierarchische Bottom-up-Ansatz von der Entwicklungszusammenarbeit, vom Gesundheitswesen, aber auch von der Managementliteratur in Beschlag genommen, wobei seine revolutionär politische Dimension immer mehr in Vergessenheit geriet. Der Bottom-up-Ansatz soll nur lokal oder am liebsten nur innerpsychisch bleiben. Die ganze kapitalistisch-geordnete Hierarchie soll ja nicht ins Wanken kommen. Die Weltbank z. B. verwendete 2005 das Wort “Empowerment” inflationär in mehr als 1800 Armutsreduktionsprojekten. Was steckt aber wirklich hinter diesem Konzept und wirkt es wirklich?

Marxistischer Ursprung

Bevor wir uns an eine Definition von Empowerment annähern, werden wir einige Aktivisten und Theoretiker dieses neuen Ansatzes kennenlernen, der immer mit einem bestimmten Menschen- und Weltbild zusammenhängt. Dabei beeinflusst der zeitliche und örtliche Kontext immer die Bedeutung dieses schwer zu übersetzenden, schwammigen Modewortes. Die vielen Definitionen und Umschreibungen von Empowerment spiegeln immer den Zeitgeist oder die Persönlichkeit des jeweiligen Theoretikers.

 Paulo Freire (1921-1997)

Eine wichtige Inspirationsquelle für den Grundgedanken des "Empowerment" erkennt man beim marxistischen, brasilianischen Befreiungspädagogen Paulo Freire. Seine Befreiungspädagogik ist aus der südamerikanischen Befreiungstheologie entstanden, bei der es darum geht, den Armen ihre Stimme zurückzugeben und sie vor Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung zu befreien.

In Freires Buch "Pädagogik der Unterdrückten" (1968) geht es um Alphabetisierungs- und allgemeine Bildungskampagnen für „Unterdrückte“, die zur Selbstreflexion anregen. Dadurch wird ein Bewusstsein für soziale und politische Ungerechtigkeiten entwickelt. Wenn man nicht ständig selbst an diesem „erweiterten Bewusstsein“ arbeitet, wird man immer Opfer des Status Quo bleiben.

Für Freire ist der Mensch dazu noch ein Dialogwesen. Im Dialog kann Reflexion entstehen, was im Idealfall reflektierte Aktionen auslöst. Wenn zu viel Tatendrang ohne Reflexion an den Tag gelegt wird, entsteht „Aktionismus“. Es mangelt an einer Absprache mit den unterdrückten Opfern. Wenn aber nur grosse Worte gepredigt werden, ohne den Schritt zur Handlung zu starten, bleibt man im „Verbalismus“ stecken. Empowerment wird zur leeren Worthülse.

Empowerment in den Slums

Wenn man wirklich aus tiefster Seele an bessere Alternativen glauben lernt, öffnen sich früher oder später Türen und Möglichkeiten. Mit dem Buch "Black Empowerment: Social Work in Oppressed Communities" (1976) der afroamerikanischen Sozialarbeiterin Barbara B. Solomon wurde der Empowerment-Begriff in einer lokalen Weise geprägt, die nicht mehr eine Weltrevolution zum Endziel hatte, sondern für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung in der Community (im Quartier) kämpfte. Der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung schlossen sich in den 70er Jahren die Frauen-, Homosexuellen und Behindertenbewegung an. In ärmlichen Gebieten auf der ganzen Welt haben sich Frauenorganisationen gebildet, um das Thema „Gewalt gegen Frauen“ zu enttabuisieren und den Frauen einen Rückhalt zu bieten. Aus der „Kultur des Schweigens“ wurde eine „Kultur des Aufrufs“.



Empowerment in der Psychiatrie

Der US-amerikanische Psychologieprofessor Julian Rappaport theoretisierte weiter über Empowerment. Er stammt aus der Gemeindepsychologie, bei der das Augenmerk mehr auf das alltägliche Umfeld des Patienten als auf seine psychischen Probleme gerichtet wird. Gerade bei Psychiatrie-Patienten aus der Unterschicht realisierten viele Psychologen, dass nicht eine intellektuelle Psychotherapie, sondern eine Verbesserung der ärmlichen, sozialen Verhältnisse den grössten Therapieerfolg mit sich brachte.



Unzählige Definitionen

Eine der Definitionen Rappaports lautet: „Empowerment wird als Prozess aufgefasst: ein Mechanismus, bei dem Menschen, Organisationen und Gruppen Kontrolle über ihr Leben gewinnen.“  (Empowerment is viewed as a process: the mechanism by which people, organizations, and communities gain mastery over their lives.)

Unzählige Empowerment-Theoretiker versuchten noch schönere Definitionen zu formulieren. Die soziale und politische Dimension gerät immer mehr in den Hintergrund. Empowerment hat dadurch immer weniger direkt mit der Teilnahme am demokratischen Prozess zu tun und mehr mit der Erzeugung einer persönlichen Erfolgsgeschichte. So schreibt Wolfang Stark, deutscher Professor für Organisationspsychologie: „Empowermentprozesse erzählen Geschichten von Menschen und ihren Zusammenschlüssen, denen es gelungen ist, ihre eigenen Ressourcen und Stärken zu erkennen und diese in soziale Handlungen umzusetzen.“

In Management-Ratgebern braucht man den Begriff zur individualistischen Selbstverwirklichung, was manche als zu viel Erfolgsdruck empfinden werden. Der US-amerikanische Unternehmer und Bestseller-Autor Ken Blanchard beschreibt es so: „Beim Empowerment geht es nicht darum, den Leuten „Macht“ zu verleihen. Die Menschen haben schon genug „Macht“ in der Fülle ihres Wissens und ihrer Motivation, um ihren Job hervorragend zu machen. Beim Empowerment geht es darum, diese Power rauszulassen.“ (Empowerment is not giving people power, people already have plenty of power, in the wealth of their knowledge and motivation, to do their jobs magnificently. We define empowerment as letting this power out.)

Eine elegante Definition, die den Wunsch vieler Menschen nach (mehr) Freiheit und Selbstbestimmung ausdrückt, findet man bei Norbert Herriger, deutscher Professor für Soziologie: "Empowerment ist so programmatisches Kürzel für eine veränderte helfende Praxis, deren Ziel es ist, die Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen (vielfach verschütteten) Stärken zu ermutigen, ihre Fähigkeiten zu Selbstbestimmung und Selbstveränderung zu stärken und sie bei der Suche nach Lebensräumen und Lebenszukünften zu unterstützen, die einen Zugewinn von Autonomie, sozialer Teilhabe und eigenbestimmter Lebensregie versprechen."

Empowerment als Etikettenschwindel

Bei all dieser akademischen Theoretisierung geriet die eigentliche Umsetzung immer mehr in den Hintergrund. Viele Entwicklungsorganisationen und Firmen schmücken sich heute noch mit wohlklingenden Strategien und flachen Hierarchien. Bei einem wirklichen Wechsel von top-down zu bottom-up krebsen aber die meisten zurück.

So beschreibt Julika Loss, deutsche Professorin für Medizinische Soziologie, den Begriff „Empowerment“ nicht nur als schwer zu greifen, auch schon weil das englische „power“ positiv, das deutsche Wort „Macht“ negativ konnotiert ist. Die Idee eckt bei vielen vom Establishment an und ist unbequem für „etablierte Experten“, da sie etwas von ihrer Macht (an Angestellte) abgeben müssen und sich gar mit Forderungen (von unten) konfrontiert sehen müssen. Der Prozess ist dazu noch unberechenbar, langwierig und aufwendig – „aufwendiger als beispielsweise das Entwerfen, Gestalten und Drucken einer Hochglanzbroschüre“.

Viele Feministen und Aktivisten haben diese Verflüchtigung der anfänglichen, gut gemeinten Idee bemerkt – ähnlich wie die Gesellschaftskritik von Marx und Engels von Stalin und Mao instrumentalisiert, dann degeneriert wurde, um eine kommunistische Diktatur zu vermarkten und schön zu reden. Der Begriff „Empowerment“ wird jetzt immer noch sowohl von konservativen, neoliberalen Machthabern, als auch von Aktivisten der Minderheiten übernommen, in der Schule ebenso wie in der Entwicklungspolitik, im Strafvollzug, im Personalmanagement oder in der Sozialhilfe - ohne sich gross etwas dabei zu denken.


Dr. Brigitta Bernet, schweizerische Empowerment-Forscherin sagt dazu: „Empowerment ist eine Konsenskategorie. Sie hat in ganz unterschiedlichen Feldern Erfolg, weil Selbstbestimmung in der Moderne ein Wert von eminenter Bedeutung ist. In der neoliberalen Konstellation ist Empowerment eine Strategie, um Kosten zu sparen; im Unternehmen, aber auch im Sozialstaat, der sich zunehmend am Modell des Unternehmens orientiert.“ Weiter sieht sie auch eine weitere Gefahr: “Im Unternehmen wird die Machtfrage nur mehr selten gestellt. Das hat mit dem schwindenden Einfluss der Gewerkschaften zu tun. Es wäre aber äusserst wichtig, dass die Beschäftigten hier, wo Empowerment so gross geschrieben wird, ein kritisches Bewusstsein darüber bilden, in was für einem Macht- und Verwertungszusammenhang sie eigentlich wozu (und wozu nicht) „empowered“ werden sollen.“

Eine Rückbesinnung auf eine echte nachhaltige strukturelle Stärkung der Schwachen ist gefordert. Ermutigende Coaching-Programme bieten unterstützende Begleitung in schweren Zeiten. Bei Workshops kann man neue und eingerostete Fähigkeiten stärken und das Netzwerk erweitern. Es geht heutzutage nicht mehr um eine Weltrevolution, sondern zuerst einmal um Mut und Eigeninitiative.

Heute ist der Anfang einer neuen Bewegung - das Ende der Machtlosigkeit in Griffnähe.


>>>Mehr zur Freires Befreiungspädagogik: http://www.grin.com/de/e-book/206687/die-befreiungspaedagogik-paulo-freires-und-ihre-uebertragbarkeit-auf-die


Wichtigste Quelle für diesen Artikel:  
Empowerment: The History of a Key Concept in Contemporary Development Discourse
(by Anne-Emmanuèle Calvès, University of Montreal)
>>> Link


Other Freire-Fans around the world (nice short overview):


Freire's Ideas works for Women in India (impressive!):


Chomsky on Freire (excellent!):


Inspiring Movie on Empowerment (North Country (2015) with Charlize Theron):



No comments:

Post a Comment