von David J. Putnam
Der Begriff "Empowerment" (dt.: Ermächtigung) gilt seit der afroamerikanischen Befreiungsbewegung der 1960er Jahre zum allbeliebten Schlagwort schlechthin. In den 1980er Jahren wurde der neue anti-hierarchische Bottom-up-Ansatz von der Entwicklungszusammenarbeit, vom Gesundheitswesen, aber auch von der Managementliteratur in Beschlag genommen, wobei seine revolutionär politische Dimension immer mehr in Vergessenheit geriet. Der Bottom-up-Ansatz soll nur lokal oder am liebsten nur innerpsychisch bleiben. Die ganze kapitalistisch-geordnete Hierarchie soll ja nicht ins Wanken kommen. Die Weltbank z. B. verwendete 2005 das Wort “Empowerment” inflationär in mehr als 1800 Armutsreduktionsprojekten. Was steckt aber wirklich hinter diesem Konzept und wirkt es wirklich?
Marxistischer Ursprung
Bevor wir uns an eine Definition von Empowerment annähern,
werden wir einige Aktivisten und Theoretiker dieses neuen Ansatzes kennenlernen,
der immer mit einem bestimmten Menschen- und Weltbild zusammenhängt. Dabei beeinflusst
der zeitliche und örtliche Kontext immer die Bedeutung dieses schwer zu
übersetzenden, schwammigen Modewortes. Die vielen Definitionen und
Umschreibungen von Empowerment spiegeln immer den Zeitgeist oder die
Persönlichkeit des jeweiligen Theoretikers.
Eine wichtige Inspirationsquelle für den Grundgedanken des
"Empowerment" erkennt man beim marxistischen, brasilianischen
Befreiungspädagogen Paulo Freire. Seine Befreiungspädagogik ist aus der
südamerikanischen Befreiungstheologie entstanden, bei der es darum geht, den Armen ihre Stimme zurückzugeben und sie vor
Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung zu befreien.
In Freires Buch "Pädagogik der Unterdrückten"
(1968) geht es um Alphabetisierungs- und allgemeine Bildungskampagnen für „Unterdrückte“,
die zur Selbstreflexion anregen. Dadurch wird ein Bewusstsein für
soziale und politische Ungerechtigkeiten entwickelt. Wenn man nicht
ständig selbst an diesem „erweiterten Bewusstsein“ arbeitet, wird man immer Opfer des
Status Quo bleiben.
Für Freire ist der Mensch dazu noch ein
Dialogwesen. Im Dialog kann Reflexion entstehen, was im Idealfall reflektierte
Aktionen auslöst. Wenn zu viel Tatendrang ohne Reflexion an den Tag gelegt
wird, entsteht „Aktionismus“. Es mangelt an einer Absprache mit den
unterdrückten Opfern. Wenn aber nur grosse Worte gepredigt werden, ohne den
Schritt zur Handlung zu starten, bleibt man im „Verbalismus“ stecken. Empowerment wird
zur leeren Worthülse.
Empowerment in den Slums
Wenn man wirklich aus tiefster Seele an bessere Alternativen
glauben lernt, öffnen sich früher oder später Türen und Möglichkeiten. Mit dem
Buch "Black
Empowerment: Social Work in Oppressed Communities" (1976) der afroamerikanischen Sozialarbeiterin Barbara B. Solomon wurde der
Empowerment-Begriff in einer lokalen Weise geprägt, die nicht mehr eine
Weltrevolution zum Endziel hatte, sondern für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung in der Community (im Quartier) kämpfte. Der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung schlossen
sich in den 70er Jahren die Frauen-, Homosexuellen und Behindertenbewegung an.
In ärmlichen Gebieten auf der ganzen Welt haben sich Frauenorganisationen
gebildet, um das Thema „Gewalt gegen Frauen“ zu enttabuisieren und den Frauen
einen Rückhalt zu bieten. Aus der „Kultur des Schweigens“ wurde eine „Kultur des
Aufrufs“.
Empowerment in der
Psychiatrie
Der US-amerikanische Psychologieprofessor Julian Rappaport theoretisierte
weiter über Empowerment. Er stammt aus der Gemeindepsychologie, bei der das
Augenmerk mehr auf das alltägliche Umfeld des Patienten als auf seine
psychischen Probleme gerichtet wird. Gerade bei Psychiatrie-Patienten aus der
Unterschicht realisierten viele Psychologen, dass nicht eine intellektuelle Psychotherapie,
sondern eine Verbesserung der ärmlichen, sozialen Verhältnisse den grössten
Therapieerfolg mit sich brachte.
Unzählige Definitionen
Eine der Definitionen Rappaports lautet: „Empowerment wird
als Prozess aufgefasst: ein Mechanismus, bei dem Menschen, Organisationen und
Gruppen Kontrolle über ihr Leben gewinnen.“
(Empowerment is viewed as a process: the mechanism by which people,
organizations, and communities gain mastery over their lives.)
Unzählige Empowerment-Theoretiker versuchten noch schönere
Definitionen zu formulieren. Die soziale und politische Dimension gerät immer
mehr in den Hintergrund. Empowerment hat dadurch immer weniger direkt mit der
Teilnahme am demokratischen Prozess zu tun und mehr mit der Erzeugung einer
persönlichen Erfolgsgeschichte. So schreibt Wolfang Stark, deutscher Professor
für Organisationspsychologie: „Empowermentprozesse erzählen Geschichten von
Menschen und ihren Zusammenschlüssen, denen es gelungen ist, ihre eigenen
Ressourcen und Stärken zu erkennen und diese in soziale Handlungen umzusetzen.“
In Management-Ratgebern braucht man den Begriff zur
individualistischen Selbstverwirklichung, was manche als zu viel Erfolgsdruck empfinden
werden. Der US-amerikanische Unternehmer und Bestseller-Autor Ken Blanchard
beschreibt es so: „Beim Empowerment geht es nicht darum, den Leuten „Macht“ zu
verleihen. Die Menschen haben schon genug „Macht“ in der Fülle ihres Wissens
und ihrer Motivation, um ihren Job hervorragend zu machen. Beim Empowerment geht
es darum, diese Power rauszulassen.“ (Empowerment is not giving people power,
people already have plenty of power, in the wealth of their knowledge and
motivation, to do their jobs magnificently. We define empowerment as letting
this power out.)
Eine elegante Definition,
die den Wunsch vieler Menschen nach (mehr) Freiheit und Selbstbestimmung
ausdrückt, findet man bei Norbert Herriger, deutscher Professor für Soziologie:
"Empowerment ist so programmatisches Kürzel für eine veränderte helfende Praxis, deren Ziel es ist, die
Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen (vielfach verschütteten) Stärken zu ermutigen, ihre Fähigkeiten zu Selbstbestimmung und
Selbstveränderung zu stärken und sie bei der Suche nach Lebensräumen und
Lebenszukünften zu unterstützen, die einen Zugewinn von Autonomie, sozialer
Teilhabe und eigenbestimmter
Lebensregie versprechen."
Empowerment als
Etikettenschwindel
Bei all dieser akademischen Theoretisierung geriet die
eigentliche Umsetzung immer mehr in den Hintergrund. Viele
Entwicklungsorganisationen und Firmen schmücken sich heute noch mit wohlklingenden
Strategien und flachen Hierarchien. Bei einem wirklichen Wechsel von top-down
zu bottom-up krebsen aber die meisten zurück.
So beschreibt Julika Loss, deutsche Professorin für
Medizinische Soziologie, den Begriff „Empowerment“ nicht nur als schwer zu
greifen, auch schon weil das englische „power“ positiv, das deutsche Wort
„Macht“ negativ konnotiert ist. Die Idee eckt bei vielen vom Establishment an und ist unbequem
für „etablierte Experten“, da sie etwas von ihrer Macht (an Angestellte) abgeben müssen und sich gar mit
Forderungen (von unten) konfrontiert sehen müssen. Der Prozess ist dazu noch unberechenbar,
langwierig und aufwendig – „aufwendiger als beispielsweise das Entwerfen,
Gestalten und Drucken einer Hochglanzbroschüre“.
Viele Feministen und Aktivisten haben diese Verflüchtigung
der anfänglichen, gut gemeinten Idee bemerkt – ähnlich wie die Gesellschaftskritik
von Marx und Engels von Stalin und Mao instrumentalisiert, dann degeneriert
wurde, um eine kommunistische Diktatur zu vermarkten und schön zu reden. Der Begriff „Empowerment“
wird jetzt immer noch sowohl von konservativen, neoliberalen Machthabern, als auch von
Aktivisten der Minderheiten übernommen, in der Schule ebenso wie in der
Entwicklungspolitik, im Strafvollzug, im Personalmanagement oder in der Sozialhilfe - ohne sich gross etwas dabei zu denken.
Dr. Brigitta Bernet: https://www.fsw.uzh.ch/de/personenaz/bernet.html
Dr. Brigitta Bernet, schweizerische Empowerment-Forscherin
sagt dazu: „Empowerment ist eine Konsenskategorie. Sie hat in ganz
unterschiedlichen Feldern Erfolg, weil Selbstbestimmung in der Moderne ein Wert
von eminenter Bedeutung ist. In der neoliberalen Konstellation ist Empowerment
eine Strategie, um Kosten zu sparen; im Unternehmen, aber auch im Sozialstaat,
der sich zunehmend am Modell des Unternehmens orientiert.“ Weiter sieht sie
auch eine weitere Gefahr: “Im Unternehmen wird die Machtfrage nur mehr selten
gestellt. Das hat mit dem schwindenden Einfluss der Gewerkschaften zu tun. Es
wäre aber äusserst wichtig, dass die Beschäftigten hier, wo Empowerment so
gross geschrieben wird, ein kritisches Bewusstsein darüber bilden, in was für
einem Macht- und Verwertungszusammenhang sie eigentlich wozu (und wozu nicht) „empowered“
werden sollen.“
Eine Rückbesinnung auf eine echte nachhaltige strukturelle Stärkung
der Schwachen ist gefordert. Ermutigende Coaching-Programme bieten
unterstützende Begleitung in schweren Zeiten. Bei Workshops kann man neue und eingerostete
Fähigkeiten stärken und das Netzwerk erweitern. Es geht heutzutage nicht mehr
um eine Weltrevolution, sondern zuerst einmal um Mut und Eigeninitiative.
Heute
ist der Anfang einer neuen Bewegung - das Ende der Machtlosigkeit in Griffnähe.
>>>Mehr zur Freires Befreiungspädagogik: http://www.grin.com/de/e-book/206687/die-befreiungspaedagogik-paulo-freires-und-ihre-uebertragbarkeit-auf-die
Wichtigste Quelle für diesen Artikel:
Empowerment: The History of a Key Concept in Contemporary Development Discourse
(by Anne-Emmanuèle Calvès, University of Montreal)
>>> Link
Wichtigste Quelle für diesen Artikel:
Empowerment: The History of a Key Concept in Contemporary Development Discourse
(by Anne-Emmanuèle Calvès, University of Montreal)
>>> Link
Other Freire-Fans around the world (nice short overview):
Freire's Ideas works for Women in India (impressive!):
Chomsky on Freire (excellent!):
Inspiring Movie on Empowerment (North Country (2015) with Charlize Theron):
Chomsky on Freire (excellent!):
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